Wie hoch war die Gewitterwahrscheinlichkeit am Nationalfeiertag in Ungarn wirklich?
Die Leiterin des ungarischen Wetteramtes und ihr Stellvertreter sind am Montag entlassen worden. Gründe dafür wurden nicht angegeben, Oppositionsmedien sehen jedoch einen Zusammenhang damit, dass wegen einer Wetterprognose das traditionelle Feuerwerk zum Nationalfeiertag am 20. August in Budapest abgesagt wurde. Es wurden Gewitter vorhersagt.
Zunächst müssen wir festhalten, was auch in Deutschland von vielen Menschen immer noch nicht verstanden wird: Gewitter können Tage oder meist auch viele Stunden vorher nicht ortsgenau vorhergesagt werden. Meteorologen können Regionen bzw. Gebiete eingrenzen, wo die Gewitterwahrscheinlichkeit erhöht ist. Zudem lassen sich Gefahren einschätzen: Können die Gewitter besonders stark werden? Drohen sehr hohe Windgeschwindigkeiten oder eher starke Regenfälle mit Überflutungen? Es gibt unter anderem auch Gewitterlagen, wo die Wahrscheinlichkeit für Gewitter verhältnismäßig gering ist, sollte es aber doch Gewitter geben, ist wiederum die Wahrscheinlichkeit für unwetterartige Begleiterscheinungen sehr hoch.
Schauen wir uns die Zutaten für Gewitter in verschiedenen Wettermodellen an. Betrachtet werden selbstverständlich die Wettermodelle im Vorfeld für den Samstagabend, 20. August. Unten sind drei verschiedene Wettermodelle für die verfügbare Gewitterenergie zu sehen (CAPE). Angefangen mit oben aus dem europäischen Wettermodell ECMWF, darunter in der Mitte das deutsche Wettermodell (ICON) und ganz unten das amerikanische Wettermodell (GFS). Links ist die Berechnung, welche am Freitagabend vorlag, rechts die vom Samstagmorgen. Budapest ist etwa in der Mitte der Karten zu finden.
Das europäische ECMWF Wettermodell hatte in beiden Berechnungen, sowohl am Freitagabend, als auch am Samstagmorgen, einen Streifen mit recht hohen Energiewerten genau über Budapest liegen. Das ICON (Mitte) hatte den Streifen konstant schon ganz knapp östlich von Budapest gesehen und das GFS (unten) schon deutlich östlicher. Die Wettermodelle waren also recht unterschiedlich. Es war also kniffelig und unsicher, ob Budapest am Samstagabend noch im Bereich energiereicher Gewitterluft liegen sollte.
Hinzu kommt, dass verschiedene Modelle (unten das ICON und das ECMWF) eine erhöhte Windscherung über Budapest rechneten. Bei einem Überlappen von energiereicher Gewitterluft mit erhöhter Windscherung, ist die Unwettergefahr deutlich erhöht. Allerdings sah von allen drei Wettermodellen (oben) nur das ECMWF ein Überlappen im Bereich von Budapest am Samstagabend.
Nun gibt es heutzutage ja auch hochaufgelöste Wettermodelle. Betrachten wir unten unser hauseigenes 4×4 km Wettermodell und unser EZ4 Wettermodell, welche beide für einen Europaausschnitt berechnet werden. Und zwar will ich den Superzellen-Parameter zeigen. Was wir oben bereits angesprochen haben mit dem Überlappen von „günstigen“ Zutaten für unwetterartige Gewitter, wird hier in einer Karte zusammengefasst. Mal ganz einfach gesagt. Superzellen sind besonders starke Gewitter mit hohem Unwetterpotenzial.
Es sind jeweils von links nach rechts die Berechnungen von Freitagabend, der Nacht auf Samstag und Samstagmorgen für den Samstagabend zu sehen. Wir erkennen gut, dass sich die farbigen Bereiche (blau, grün, gelb) für den besagten Termin schrittweise immer weiter östlich von Budapest berechnet wurden. War der „Gefahrenbereich“ am Freitagabend noch sehr nah bzw. wenig östlich von Budapest, wurde er in den Folgeberechnungen bis Samstagmorgen immer weiter nach Osten geschoben. Dahingehend wurde die Lage für Budapest am Samstagabend schrittweise entschärft.
Auch wenn das europäische ECMWF Wettermodell (siehe oben) eine recht günstige Überlappung von Gewitterzutaten berechnete, so rechneten andere Wettermodelle nicht so günstige Gewitterbedingungen im Bereich von Budapest am Samstagabend. Deswegen ist es auch immer sinnvoll sich Multi-Modelle anzuschauen. Hier gibt es einen Mix aus verschiedenen Wettermodellen.
Unten ist die maximale Gewitterwahrscheinlichkeit für Ungarn für den 20.08.2022 zwischen 17 bis 23 Uhr zu sehen. Es sind sechs verschiedene Berechnungen im Vorfeld. Von oben links (Freitagmorgen) bis unten rechts (Samstagmittag). Dabei ist immer wieder eine geringe Gewitterwahrscheinlichkeit auch für Budapest zu sehen, die aber nur im Bereich von etwa 1% bis 10% liegt. Die in vielen Medien zitierten „75-80% Wahrscheinlichkeit für ein heftiges Gewitter am Samstagabend“ sind jedenfalls nicht nachvollziehbar. Ob das auch wirklich so vom Wetterdienst kommuniziert wurde, ist natürlich die Frage.
Kräftige Gewitter am Samstagvormittag
Was viele Wettermodelle auch nicht wirklich auf dem Schirm hatten: Am Samstagvormittag zogen kräftige Gewitter in Budapest durch, wie die Blitzkarte unten zeigt. Zahlreiche Gewitter erstreckten sich quer durch Ungarn und unter anderem wurde auch Budapest erfasst. Das zeigt noch einmal die Brisanz und Unsicherheit am Samstag, 20. August.
Fazit – schwierige und brisante Wetterlage
Am Abend zeigen die Blitzkarten dann nur wenig Gewitteraktivität über Ungarn. Insgesamt lässt sich beim Vergleich mit den Gewitterwahrscheinlichkeiten aus dem Multi-Modell (oben) feststellen, dass es recht gut lag. Das Minimum in der Mitte und auch bei Budapest wurde gut erkannt, schon am Freitag. Das Maximum lag östlicher und westlicher.
Das ECMWF Wettermodell sah bis zuletzt noch recht brisant aus und hatte vor allem am Vorabend eine deutlich erhöhte Wahrscheinlichkeit für schwere Gewitter berechnet. In der Summe hatten allerdings die meisten Wettermodelle keine besonders hohe Gewitterwahrscheinlichkeit für den Samstagabend berechnet. Nun muss man natürlich bedenken, dass es am Nationalfeiertag 2006 ein schweres Unwetter mit zahlreichen Verletzten und auch Todesopfern gab. Da ist man als verantwortlicher Wetterdienst sicher mehr als vorsichtig! Das ist verständlich und richtig. Es war ganz sicher nicht einfach die Gewittergefahr einzuschätzen. Ein Restrisiko für auch starke Gewitter war bis zuletzt vorhanden.
Nach Betrachten zahlreicher Wettermodelle, war die Gewitterwahrscheinlichkeit am Samstagabend in Budapest eher gering. ABER: Es war am Vortag für den Samstagabend eine Gewitterlage wie eingangs beschrieben: Wahrscheinlichkeit für Gewitter verhältnismäßig gering. Sollte es aber doch Gewitter geben (Restrisiko), ist wiederum die Wahrscheinlichkeit für unwetterartige Begleiterscheinungen hoch. Und da ist es sicher richtig Vorsicht walten zu lassen! Im Verlauf des Samstages, vor allem nach den Gewittern am Vormittag, war dann spätestens eine weitere „Entschärfung“ der Wetterlage zu erkennen. Denn nach dem größeren Gewittercluster am Samstagvormittag, ging die Gewitterwahrscheinlichkeit für den weiteren Tag beziehungsweise den Samstagabend deutlich zurück. Und genau das bestätigt auch ein Meteorologe vom Hungarian Meteorological Service.
Er sagt, dass das Feuerwerk nur verschoben wurde und nicht abgesagt. Mit neuen Radiosondendaten wäre die Prognose im Verlauf dann aktualisiert worden.